Fibromyalgie – Beruf und Mutter? Wie ist es gelungen ein „normales Leben“ zu führen?
Die Fibromyalgie habe ich in meinem Leben lange verdrängt. Mit 34 Jahren hatte ich das Gefühl, ich kann alles in meinem Leben meistern. In meinem Beruf als Erzieherin ging ich förmlich auf. Eine eigene Gruppe zu leiten, administrative Aufgaben zu übernehmen, einen Eltern – Gesprächs- Kreis zu organisieren, Kongresse zu besuchen und an Weiterbildungen teilzunehmen war für mich mein Lebenselixier. Mein Dasein als Mutter ebenso, ich wollte Beides perfekt machen.
Gleichzeitig gab es zwei „Baustellen“ in meinem Leben, die ich mal ignorieren und mal mit genauso viel Ehrgeiz „in den Griff“ bekommen wollte: die Beziehung zu dem Vater meiner Kinder, wir lebten zu viert als Familie in einer schön renovierten Altbauwohnung in Berlin Kreuzberg, ging den Bach runter. Lange bevor ich sie beenden konnte, musste ich mir eingestehen, dass ich meinen Partner nicht retten konnte. Seine Probleme waren massiv und unser Leben nie ruhig, sondern geprägt von Unruhe, Chaos und Streit.
Leben mit Fibromyalgie – eine Baustelle
Die zweite „Baustelle“ war meine Krankheit: solange es irgend möglich war, ignorierte ich die Schmerzen, biss die Zähne zusammen und versuchte zu funktionieren. Ich hatte eine Familie zu ernähren und wollte meinen Job als Mutter und Erzieherin mehr als gut machen. Krank sein war für mich keine Option und so ging ich trotz massiver Schmerzen zur Arbeit und nahm viel zu viele Schmerztabletten zu mir, die mir zudem nur mäßig Linderung verschafften.
Gleichzeitig spürte ich es jeden Tag: So konnte mein Leben nicht weiter gehen. Ich musste etwas verändern. Zu dem Zeitpunkt habe ich zwar regelmäßig Sport in einem Fitness – Studio gemacht, wo ich auch eine Sauna benutzen konnte, was meine Arbeitsfähigkeit mit aufrecht erhielt. Aber ich war nervös, hektisch, gereizt, angespannt, erschöpft und traurig. Lief irgendetwas nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte, wurde ich schnell wütend. Innerlich brodelte ich vor Wut. Meiner Wut Ausdruck zu verleihen allerdings war tabu. Es war mir nicht möglich meine Gefühle wahrzunehmen. Was ich spürte, war eine diffuse Unzufriedenheit und Traurigkeit. Ständig versuchte ich mir deshalb mein Leben schön zu reden.
Der Wendepunkt – eine wichtige Entscheidung
Einen Wendepunkt bekam mein Leben, als ich einen Kurs für Autogenes Training bei der Rheuma – Liga Berlin besuchte. Ich wollte eine Methode erlernen, bei der ich mich entspannen und ruhiger werden kann. Ich hatte Glück, denn der Kurs wurde von einer sehr erfahrenen Psychotherapeutin angeleitet. Die massive Unruhe in mir, die ich während der Übung verspürte, kann ich kaum beschreiben. Mein ganzer Körper fing an zu kribbeln und zu schmerzen und ich spürte einen so starken Drang mich zu bewegen, dass ich kaum Luft bekam. Ich wollte aufspringen und den Raum verlassen. Es war unerträglich. Mit ganz viel Konzentration und Mühe gelang es mir liegen zu bleiben, aber dann kam die Panik. Mir war nicht klar woher diese wahnsinnige Angst plötzlich kam und ich hatte Angst vor der Angst, vor dem, was dahinter stand. Ich ahnte wohl, dass das kindliche Gefühle und Erinnerungen waren, die ich bis dahin verdrängt hatte. Die Therapeutin, die selber schwer an Rheuma erkrankt war, hatte sehr viel Einfühlungsvermögen und begleitete mich durch meine Angst, indem sie mir immer wieder versicherte, dass es gut sei die Angst willkommen zu heißen, nach dem Motto: „Guten Tag Angst, da bist du ja wieder, ich spüre dich, du darfst da sein und das ist ganz okay!“ Mit diesem Kurs nahm mein Weg der Achtsamkeit und Auseinandersetzung mit meinem sog. „Inneren Kind“ (Traumatherapie) seinen Anfang.
Therapie, Achtsamkeit und Yoga
Der Kurs war abgeschlossen, ich versuchte täglich das autogene Training zu üben, als mir ein Flyer der Praxis „Weg zur Mitte“ in die Hände fiel. Sie boten einen dreimonatigen Kurs für Menschen mit chronischen Schmerzen und Rheuma an. Schwerpunkte sollten sein: Achtsamkeit im Alltag üben, Yoga speziell für Menschen mit Schmerzen, eine sog. Basen – Diät, Gruppentherapie und Lymphdrainage Massage. Da ich mit dem autogenen Training nicht weiter kam und das Programm bei Weg der Mitte vielversprechend war, habe ich mich angemeldet. Das war im Jahr 2003. Zwei Jahre vorher hatte ich schon innerhalb einer Fortbildung erste Erfahrungen mit Achtsamkeitsübungen gemacht und den Namen „Jon Kabat Zinn“ vernommen. Mein Interesse war groß und meine Bereitschaft mich auf die Übungen und die Therapie einzulassen auch, nur mein Kopf wollte nicht mit machen. Kreisende, sich immer wiederholende Gedanken hielten mich regelrecht davon ab, mich zu entspannen. Ob beim Yoga, in der Meditation oder bei den Achtsamkeits – Übungen, ich konnte sie nicht abstellen. Es war zum verzweifeln. Ich zweifelte an mir und daran, dass ich das jemals lernen könnte. Gewisse Sätze gingen mir ständig durch den Kopf: „Das schaffe ich nie“, „Ich muss durchhalten“, „Ich kann das sowieso nicht“ und „Ich bin viel zu schwach“. Der Austausch innerhalb der Gruppe tat mir gut, auch anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ging es ähnlich wie mir. Es war ein langer Prozess, der weit über die zwölf Wochen hinaus ging, aber irgendwann hatte ich das Gefühl mein ausdauerndes Üben hatte Erfolg. Allmählich lernte ich zu unterscheiden, was mir mein Kopf, mein Körper und mein Gefühl gerade sagt. Ganz allmählich wurde ich ruhiger, gelassener und zufriedener mit mir selbst.
Selbstfürsorge lernen
Da ich allerdings weiterhin in einer belastenden Beziehung lebte, quasi ausharrend und leidend, konnte das kleine Pflänzchen „Selbstfürsorge“ nicht richtig wachsen. Erst nachdem ich sechs Wochen in einem Krankenhaus Lahnhöhe für psychosomatische Schmerzen verbracht hatte, konnte ich den für mich bis dahin unvorstellbaren Schritt machen und mich von meinem Partner, dem Vater meiner Kinder trennen. Es war wie ein Befreiungsschlag und meine Rettung. Durch die Therapien in der Klinik wurden viele seelische Schmerzen frei gelegt. Das war ein sehr schmerzhafter und dennoch gesunder Prozess. Die Lahnhöhe ist ein anthroposophisches Krankenhaus und bietet einige anthroposophische Therapien, wie Heileurythmie, Plastizieren und Kunsttherapie an. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Traumatherapie und die Arbeit am inneren Kind. Ich verstand zum ersten mal wo meine Ängste ihren Ursprung hatten und dass ich eine Co – Abhängigkeit zu meinem Partner entwickelt hatte.
Ab diesen Zeitpunkt habe ich durch etliche Psychotherapien und Workshops mehr Klarheit gefunden und nach und nach lernte ich fürsorglicher mit mir umzugehen. Bisher hatte ich mich immer nur um andere Menschen gekümmert. Mein Fokus lag auf meinen Kindern, um die ich mich immer fast aufopfernd gekümmert habe. Aber auch in meinem Beruf bin ich bekannt gewesen, als eine Person, die in ihrer Arbeit aufgeht und immer hundert Prozent gibt. Meine Grenze wahrzunehmen und auch mal „Nein“ zu sagen, viel mir sehr schwer. Und für mich zu sorgen umso mehr. Das habe ich erst so richtig gelernt, als meine Kinder etwas älter wurden. Ich war ja nun Alleinerziehende Mutter und berufstätig und meine Kinder wurden zwangsläufig selbstständiger. Für mich war es das höchste Gut eine entspannte gemütliche konfliktfreie Zeit miteinander zu verbringen. Das war mir heilig! Und wir alle drei genossen diese Ruhe zu Hause. Das konnte nur funktionieren, indem ich auf meinen Perfektionismus verzichtete und Prioritäten setzte. Und mir war klar, dass ich meinen Kindern nur eine gute Mutter sein kann, wenn ich mit mir und meinem Leben zufrieden bin. Also sorgte ich dafür, dass meine Bedürfnisse nicht zu kurz kamen.
„Nimm einen Stein in die Hand und betrachte ihn völlig wertfrei. Schau dir genau seine Beschaffenheit an. Die Form, Farben und Struktur. Nimm seinen Geruch wahr. Ertaste seine Oberfläche, wie fühlt er sich an? Nimm dir ausreichend Zeit dazu. Dann versuche wahrzunehmen welche Gedanken dir dabei durch den Kopf gehen und was du gerade fühlst. Wenn deine Gedanken abschweifen, kehre wieder zurück und betrachte den Stein.“