Hoffnung auf Heilung
Die Fibromyalgie wurde bei mir im Jahr 2000 im Alter von 34 Jahren von einem sachkundigen Rheumatologen diagnostiziert. Während der Untersuchung bei ihm war ich ganz apathisch, abwesend und hoffnungslos. Zu häufig hatte ich schon voller Hoffnung auf eine Diagnose beim Arzt gesessen. Erst als er mir den Flyer der Rheumaliga über die Erkrankung Fibromyalgie in die Hand gedrückt hatte und ich noch auf der Straße einen Blick rein werfen konnte, war es mir möglich zu realisieren, was gerade passiert war. Endlich hatte ich eine Diagnose! Ich wusste plötzlich was mit mir los war und es gab einen Namen, eine Bezeichnung! Fibromyalgie, das Wort hatte ich noch nie gehört, aber alles was ich in der Broschüre las entsprach genau dem, was mich seit Jahren quälte. Zunächst war ich ganz euphorisch – endlich Hoffnung auf Heilung!
Odyssee an Arzt – und Klinikbesuchen
Bis dahin hatte ich eine Odyssee an Arzt – und Klinikbesuchen hinter mir. Ich weiß nicht mehr bei wie vielen Ärztinnen und Ärzten ich war. Manche dieser Ärztinnen und Ärzte bezweifelten sogar, dass ich überhaupt krank bin. „Sie sind vollkommen gesund!“, hatte mir zum Beispiel ein Orthopäde, der mir mehrfach aufgrund seiner Fachkompetenz empfohlen worden war, gesagt. Ich solle einfach morgens das Fenster weit öffnen und mit ausgebreiteten Armen mir selber verkünden, dass ich glücklich sei. Ich glaube, ich brauche nicht zu betonen, wie absurd diese Empfehlung mir in meinem Zustand erschien.
Besonders hart hat mich allerdings der Spruch meiner Hausärztin, bei der ich schon seit zehn Jahren in Behandlung war, getroffen. Nachdem sie mir zähneknirschend eine Überweisung zum Rheumatologen gab, die sie mir bis dahin verweigert hatte, meinte sie, als ich ihr die Diagnose nannte: „Nein, das haben Sie nicht! Sie haben ein unverändertes Blutbild und sind gesund!“ Von heute auf morgen habe ich diese Praxis nie wieder betreten.
Vollbild der Fibromyalgie
Zu dem Zeitpunkt hatte sich bei mir schon das Vollbild der Fibromyalgie mit sämtlichen Symptomen entwickelt. Angefangen hat es mit heftigen Schmerzen in den Knien, oft einseitig im Wechsel, mal rechts mal links. Ich muss ungefähr sieben Jahre alt gewesen sein, denn ich bekam immer erst Schmerzen, wenn ich mich für einen längeren Zeitraum nicht bewegen konnte, also still sitzen musste. In der Schule war das eine Qual. Mir viel es schwer mich zu konzentrieren, denn ich benötigte meine ganze Konzentration für die Bewältigung des Schmerzes. Unauffällig war ich bemüht erst das eine Bein angewinkelt hin und her zu schaukeln und dann das andere. Leichtes Schaukel linderte für einen Moment den Schmerz. Am liebsten wäre ich allerdings aufgestanden und ein wenig herum gelaufen. Daran war selbstverständlich nicht zu denken. Meine Lehrerin machte sich Sorgen. Sie meinte ich sei ein „Zappelphilipp“ oder habe „Ameisen in der Hose“, ich störe den Unterricht und es könne nicht so weiter gehen. Meine Schulnoten waren von Anfang an schlecht. Seltsamerweise meine Motivation nicht. Ich war neugierig, wollte lernen, hatte mich auf die Schule gefreut und verstand nicht, warum die Hälfte des Unterrichts an mir vorbei ging. Hatten sich nämlich meine Beine beruhigt, war es gut möglich, dass ich mit einer mich überwältigenden Müdigkeit zu kämpfen hatte. Auch dazu fiel meiner Lehrerin etwas ein: ich bekam wahlweise ein Kreidestück oder den nassen Tafelschwamm ins Gesicht oder an den Kopf.
Ich könnte noch endlos viele Beispiele bringen, die meine Beschwerden und die Unwissenheit, sowie das Unverständnis der Erwachsenen beschreiben. Mir ist erst viele Jahre später durch meinen Beruf innerhalb dem ich mich mit dem Thema Kindesentwicklung beschäftigte, klar geworden, dass ich durch die dauernden Schmerzen gewisse Wahrnehmungs- – und Lernstörungen entwickelt hatte. Heutzutage kann das die Neurowissenschaft erklären, damals hatten weder die Lehrer noch Kinderärzte das Know-how.
Dauerhafte Schmerzen in der Schule
Aus meinen Lernschwierigkeiten wurde eine Schulphobie, die durch andere extreme Belastungen zustande kam. Es grenzt an ein Wunder, dass ich mich in einem Punkt trotzdem ganz gesund entwickelt habe: ich habe nie den Glauben an mich verloren, auch nicht meinen Charme und Witz, den ich schon als kleines Kind besaß. Neben meinen Versagensängsten und den dauernden Schmerzen, hat mich nie die Gewissheit verlassen, dass ich ein Ziel habe, welches ich mit Zähigkeit und einem unglaublichen Willen verfolgte. Mir war es nicht wirklich bewusst, aber ich wollte mich auf jeden Fall behaupten, mich selbst verwirklichen, mein „Anders – sein“ weder überspielen, noch verbergen. Ich wusste schon als kleines Kind von meiner besonderen Fähigkeiten, einer gewissen „Hell- Fühligkeit“, die Gabe Menschen, Situationen und Atmosphäre fühlend zu erkennen.
Neulich hat mich jemand gefragt: „Wie alt warst du, als du diesen Schmerz von anderen Schmerzen unterscheiden konntest?“ Eine interessante Frage, über die ich noch nie nach gedacht hatte. Meine Antwort fiel mir trotzdem leicht, ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Ein erster Arztbesuch fand statt, als ich dreizehn Jahre alt war. Bis dahin hatte ich seit acht Jahren Schmerzen, die nur ich wahrzunehmen schien. Acht Jahre Einsamkeit und Verunsicherung. Und eine Diagnose gab es noch lange nicht. Zunächst geschah gar nichts.
Ausbildung und Beruf
Mit einundzwanzig Jahren zog ich nach Berlin. Nun war ich nicht mehr nur mir selbst überlassen, sondern verantwortlich für mich selbst. Meine Schmerzen waren zu dem Zeitpunkt nicht mehr dauerhaft und ständig, manchmal vergaß ich sie komplett. Ich habe in meiner Heimatstadt eine Ausbildung als Erzieherin gemacht und fand in Berlin Arbeit, die mir Spaß machte und bei der ich ziemlich viel auf den Beinen war. In meiner Freizeit ging ich oft Tanzen und dreimal die Woche trainierte ich in einem Verein „Selbstverteidigung für Frauen“ Jiu Jitsu. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass die viele Bewegung gut getan hat und den Schmerz in meinen Beinen linderte. Noch mehr Bedeutung gebe ich allerdings dem Thema Wut. Im Jiu Jitsu fand ich ein gutes Ventil für meine versteckten Aggressionen.
Kein Jahr später stellte ich fest, dass ich morgens mit heftigen Schmerzen in den Schultern und Armen wach wurde und ich mich wieder mit einer bleiernen Müdigkeit zur Arbeit schleppen musste. Nach der Arbeit war ich derart erschöpft, dass ich mich hin legen und schlafen musste. Damals habe ich noch keinen Zusammenhang gesehen zwischen den Schmerzen in den Knien und denen in den Schultern. Dazu kamen die häufigen Kopfschmerzen und ein erhöhte Anfälligkeit von Infekten. Meine Fehlzeiten wegen Krankheit häuften sich und das fiel auch meinem Arbeitgeber auf. Ich hatte mit heute verglichen tolle Arbeitsbedingungen und einen sehr kulanten Arbeitgeber. Ich hörte dort auf zu arbeiten, weil ich in den Mutterschutz ging.
Diagnose und Behandlung
Es folgten Jahre, in denen sich die Suche nach einer Diagnose und die Hoffnung auf Besserung mit jeder Therapie, die ich begann, wie ein roter Faden durch mein Leben zieht. Lange Jahre schloss ich Schul- medizinische Medikamente aus, weil ich überzeugt von der Heilung durch anthroposophische Heilmittel war. Und so kam es, dass ich jahrelang irgendwelche Tropfen und Kügelchen nahm ohne Wirkung zu zeigen. Öle und Wickel, Massagen, Bäder und einmal wöchentlich Heileurythmie gehörten auch dazu. Aber auch eine medikamentöse Behandlung zeigte nur kurzfristig Besserung, genauso die homöopathische Behandlung durch eine Heilpraktikerin, die ich auch noch teuer selber bezahlen musste. Ich ließ mir bei einer Zahnärztin, die bekannt für ihre Erfolge war, alle meine Amalgamfüllungen aus den Zähnen nehmen und führte eine sogenannte „Ausleitung der Gifte“ durch. Als nächstes wurde ich zu einer „Darmsanierung“ überredet. Der Verdacht gewisse Pilze mit dem Namen Candida albicans könnte die Ursache meiner Schmerzen sein. Wegen des Verdachts auf Borreliose nahm ich sechs Wochen ein Antibiotikum, danach sollte es mir endlich besser gehen.
1998 war meine Verzweiflung so groß, dass ich mich stationär in eine Klinik begab. Zu dem Zeitpunkt war ich dreißig Jahre alt und ich hatte inzwischen zwei Kinder. Alle meine Freundinnen und Freunde bewunderten mich dafür, was ich trotz meiner Erkrankung geleistet hatte und wie großartig ich als Mutter zurecht kam. Niemand ahnte wie schlecht es wirklich um mich stand. Um ehrlich zu sein: meine Kinder hielten mich am Leben! In der Klinik wurde ich auf den Kopf gestellt, alle möglichen Krankheiten wurden in eine Art Ausschlussverfahren ab gecheckt. Entlassen wurde ich allerdings nach vier Wochen ohne Diagnose und dem Rat eine Psychotherapie zu machen. In dem Befundbericht der Klinik, den ich erst Jahre später zu lesen bekam, stand allerdings: Verdacht auf Fibromyalgie! Ich habe keine Ahnung, warum man mir das nicht gesagt hat.
Tatsächlich habe ich mich gleich danach in psychologische Behandlung in einer Praxis für Menschen mit Psychosomatischen Schmerzen. Insgesamt war ich dort sechs Jahre in Behandlung, ohne großen Erfolg.
Meine anfängliche Euphorie, nachdem ich endlich eine Diagnose hatte, wich sehr schnell dem Gefühl in eine tiefe Depression gefallen zu sein. Ich wollte alles über diese merkwürdige Krankheit Fibromyalgie erfahren und nahm an einer Patientenschulung der Rheuma – Liga- Berlin teil. Die Schulung ging über ein Wochenende und war für mich einerseits sehr hilfreich und andererseits erlitt ich regelrecht einen Schock, als ich nämlich am Ende der Schulung die Frage stellte: „Ist Fibromyalgie heilbar?“ und ich die klare Antwort bekam: „NEIN, Sie können nur versuchen damit zu leben!“
Ich war 34 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern und so verzweifelt, dass ich nur noch mit Mühe weiterleben wollte, der Kinder zuliebe.
Inzwischen sind meine Kinder einundzwanzig und vierundzwanzig Jahre alt und mein Leben macht mir Spaß mit allem was es für mich bereit hält. Mit den Jahren bin ich gelassener und ruhiger geworden und habe tatsächlich gelernt mit der Fibromyalgie zu leben. Wie es mir nach meinem Erhalt der Diagnose und der Schulung ergangen ist, sollt ihr auch noch erfahren. Aber jetzt benötige ich eine Schreibpause 🙂
„Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.“
(Kurt Tucholsky)